Das preußische Manchester

Das preußische Manchester.

Die Stadt der hundert Schornsteine.

Nächster Halt: Forschte.

 

Die Stadt Forst liegt in der Lausitz, im Südosten des Landes Brandenburg, am Westufer der Neiße, unmittelbar an der Grenze zu Polen. Noch heute sieht man die zerstörten Brücken über den Fluss, die früher zum anderen Teil der Stadt führten. So viele Ferien verbrachte ich in dieser Stadt und nun war es Zeit, sie auf eine andere Art und Weise näher kennenzulernen. Schließlich muss man für verlassene Gebäude nicht immer so weit fahren.

 

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Lausitz das Zentrum der deutschen Textilindustrie. Die Stadt Forst war eines, wenn nicht sogar das Zentrum der Industrieregion. Ein Wald von Schornsteigen mit langen Rauchfahnen, Fabriken reihten sich an Fabriken, die tonnenweise Materialien für Kleider, Anzüge, Hüte oder Uniformen lieferten. Selbst meine eigene Familiengeschichte ist mit dieser großen Zeit der Stadt verknüpft. 

Um den Energiebedarf zu stillen, bauten hier die Söhne des erfolgreichen Tuchfabrikanten Gustav Avellis 1923 ein zentrales Heizkraftwerk. Es versorgte die umliegenden Betriebe mit Heißdampf und lieferte später auch Fernwärme für den Rest der Stadt. 

 

Die Kohle dafür kam aus den Lausitzer Tagebauen, von der „Schwarzen Jule“ bis direkt ins Werk gebracht. Angeblich wurde die Kohle rund um die Uhr verbrannt, so dass die durch Forst fahrende Stadteisenbahn um so wichtiger war.

Neben dem ehemaligen Ferndampfwerk waren wir außerdem auf dem Gelände der damaligen Forster Feintuchwerke von Noack und Bergami. Jeder fünfte Mensch hat 1920 angeblich einen Anzug aus Forster Tuch getragen. Heute sind es vor allem die Backstein-Romantik und die riesigen leeren Hallen die imponieren. 

Man kann heute noch erahnen, dass Forst eine stolze Textilmetropole war. Um 1930 gab es hier 169 Familienbetriebe, was der Stadt die Bezeichnung „deutsches Manchester“ einbrachte. Es sind zwar bei weitem nicht mehr die angeblich hundert Schornsteine zu sehen, doch etliche leerstehende Fabrikgelände oder Fabrikantenvillen zeugen noch von dieser Zeit. Bisher waren es die Geschichten der Großeltern, die von den riesigen Fabrikhallen erzählten. Doch wurde aus den Erzählungen auch ersichtlich, dass insbesondere die Sowjets nach der Wende die noch brauchbaren Maschinen und Materialien demontierten und wegtransportierten. Einige Originalteile waren gerade im Ferndampfwerk trotzdem noch zu finden.


Die Walke meiner Familie gibt es mittlerweile nicht mehr. Doch hat sie einen Eintrag in der Forster Textilgeschichte bekommen und ist somit für immer mit der Stadt verbunden.

Ferndampfwerk Gustav Avellis

Tuchfabriken Noack und Bergami