Tiflis - Hauptstadt zwischen Moderne und sowjetischer Vergangenheit

Wo hört eigentlich Europa auf und fängt Asien an? Tbilissi ist jedenfalls kulturell gesehen eine der östlichsten Hauptstädte Europas.

Das Straßenbild ist mit seinen orthodoxen Kirchen und Jugendstil-Villen eindeutig europäisch geprägt. Aber die sowjetischen Plattenbauten sind nach wie vor präsent. Die Jugendstil-Häuser sind teilweise von Rissen durchzogen, manche nicht mehr bewohnt und halb eingestürzt. Der Anstrich auf Mauerwerk und Türen ist an vielen Stellen abgeplatzt, oft liegt der Backstein frei. Schön anzusehen sind die Pastellfarben, die langsam verschwinden, und kunstvoll geschmiedet Geländer der Haustreppen oder Balkone. Die altehrwürdigen Stadtvillen wirken manchmal morbid, als taugten sie als Kulisse für ein schwermütiges Melodram. All das ist eher die unsichtbare Seite von Tbilissi für "normale" Touristen: zerfallende Gebäude, brutalistische Betonformen, sozialistische modernistische Juwelen, sowjetische Mosaike, geschäftige Basare, improvisierte Straßenstände, versteckte Bäckereien und kein einziger Tourist!

Eine Mischung aus Altem und Neuem, Traditionellem und Modernem. Hier sind dieselben Gegensätze wie in anderen Großstädten zu finden: Hier das Nobelviertel und eine Gasse weiter einsturzgefährdete Bauten, die ein Bild des Zerfalls darstellen. Mich zog es nicht auf den Prachtboulevard, dem Rustaweli-Prospekt, mit den üblichen Designerläden, sondern eher zu den sowjetischen Überbleibseln. Seien es der Kasernencharme der Plattenbauarchitektur, die Statuen oder Mosaike. Die bizarre Ästhetik des Verfalls.

So sehr die Stadt Teile ihres architektonischen Erbes verkommen lässt, so kühn sind die Bauprojekte der jüngeren Zeit. Die futuristische Friedensbrücke über die Kura zum Beispiel zeigt abends interessante Lichteffekte. Das Innenministerium erinnert entfernt an eine gläserne Schlange, an anderes Gebäude an ein Ufo. Die erst vor wenigen Jahren errichtete Sameba-Kathedrale im armenischen Viertel musste natürlich der größte Sakralbau Transkaukasiens werden.

 


Das alles ist merkwürdig und bizarr, passt aber zu einem Land, dass sich einen radikalen Modernisierungskurs verordnet hat. Abseits der Städte ist davon freilich nicht allzu viel zu spüren. In Tbilissi wechseln sich brutaler Verfall und kompromissloser Fortschritt ab. Wer heute  mit der Standseilbahn auf den Mtazminda-Berg  hinauf fährt, kann die Wohntürme aus Sowjetzeiten in den Vororten in all ihrer  Zweckmäßigkeit überblicken. Auch das gehört zu Europa, keine Frage.

Einen Blog zum restlichen Teil Georgiens findet ihr hier

Die Geschichte zu den verlassenen Sanatorien von Tskaltubo befindet sich hier